Kommentar zur 6-Quartale-Voraus-Projektion

Prognose vom 26. November 2023

Gesamteindruck: Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Krise. Sowohl für 2023 als auch für 2024 besteht die Gefahr eines negativen Wachstums. Zwar legt das durchschnittliche monatliche Pro-Kopf-Einkommem 2023 mit 4,5 Prozent kräftig zu, aber dieser nominelle Zuwachs wird durch eine Inflationsrate von 6 Prozent aufgefressen. Real sinkt der Konsum der privaten Haushalte um 2,4 bzw. 3,3 Prozent (2023 und 2024). Mit zwei Ausnahmen sind die Wachstumsraten aller realen Verwendungsaggregate des BIP im laufenden Jahr 2023 negativ. Der Rückgang der Exporte wird durch den Rückgang der Importe überboten, so daß der Außenbeitrag kräftig steigt. Ein Effekt, der sich 2024 ins Gegenteil verkehrt: die Importe steigen stärker als die Exporte. Die zweite Ausnahme stellen die Ausrüstungsinvestitionen dar, die aber im kommenden Jahr ebenfalls ins Negative abrutschen. Immerhin besteht Hoffnung, dass die Inflation 2024 unter die Zwei-Prozent-Marke fällt.Verstärkt wird die Rezession zunächst durch die Zurückhaltung des Staates bei den konsumtiven Ausgaben, die prognostisch 2024 überwunden wird, was aber zu einer exorbitanten Neuverschuldung des Staates führen könnte - zumindest dann, wenn alle ehrgeizigen Ziele der Ampel-Regierung beibehalten werden. Der projizierte Anstieg der Neuverschuldung entspricht in etwa dem im Krisenjahr 2010.

Von der epidemiologischen Krise, der nachlässig bekämpften Inflation und den Sanktionen gegen Russland sind klarerweise die Staatsfinanzen betroffen. Die Defizitquote des Staates wird 2023 auf 2,4 Prozent des BIP steigen. Der Projektion für 2024 entsprechend müssten einge Zweifel aufkommen, dass die sog. Schuldenbremse im kommenden Jahr eingehalten werden kann.

Die Rahmenbedingungen: Das Modell unterstellt im Prognosezeitraum einen fast konstanten Dollarwert des Euro bei 1,06 US-$. Der langfristige Zinssatz liegt bei 2,5 Prozent mit fallender Tendenz, und der Kurzfristzinssatz verharrt in den nächsten zwei Jahren um die 4 Prozent. Die Geldmenge M1 wächst nach einer kurzen Pause etwa genauso schnell wie früher, allerdings von einem abgesenkten Niveau ausgehend. Der Ölpreis steigt wieder leicht in Richtung eines Preises von 110 US-$. Der Projektion entsprechend wird der DAX vorerst keinen größeren schockartigen Einbruch erleiden, aber auch keinen Sprung nach oben machen.

Die Unsicherheit einer Prognose inmitten einer immer noch präsenten, aber kollektiv nicht wahrgenommenen Pandemie, einer aus den Ankern gerissenen Inflation und unter den Bedingungen eines heißen Krieges in Europa und im Nahen Osten ist kaum abzuschätzen. Die Vorhersage der Arbeitslosenzahlen zeigt erst 2024 einen Rückgang. Die zu erwartende Unterbeschäftigung kann man dem Verlauf der Phillipskurve entnehmen.

Unsicherheit durch die Datenlage und durch Datenrevision: Die Daten wurden von StBA bis zum 1. Quartal 2023 zurückgehend revidiert. Das erforderte mehrere Eingriffe in das zugrunde liegende Gleichungssystem, insbesondere in die Gleichungen für alle Hauptkomponenten des BIP. Die demographischen Daten stellen nach wie vor einen weiteren Unsicherheitsfaktor dar, werden aber voraussichtlich durch die ungebremste Zuwanderung weiter steigen.

Kritik der August-Prognose: Insgesamt war die letzte Prognose vom August viel zu optimistisch. Der stärkste Fehler trat wieder bei den Bruttoinvestitionen auf: Deshalb wurden die Gleichungen für die gewerblichen Ausrüstungsinvestitionen, die Bauinvestitionen und die sonstigen Investitionen erneut revidiert. Man kann nur hoffen, dass mit der Korrektur des entsprechenden Gleichungssystems wieder ein realistischeres Bild des Verlaufs der Wirtschaftsentwicklung ermöglicht wird.

Eine exakte Angabe der Prognosefehler, die für das gerade abgelaufene Quartal aufgrund der inzwischen vorliegenden Daten ermittelt werden können, findet man wie gewöhnlich unter Vierteljährige Prognosefehler.

Ein umfaßenders Bild der auf Jahreszahlen bezogenen Prognosegenauigkeit des EMGE liefert die Tabelle bisherige Prognosen.

Anläße für Skepsis gegenüber der Prognose? Nach einer aktiven Zeit von mehr als 16 Jahren (die erste Prognose wurde am 2.3.2007 veröffentlicht) hat das EMGE bei den Hauptaggregaten eine hohe Genauigkeit der Ex-post-Prognosen, die in ruhigeren Zeiten zum Teil deutlich und dauerhaft unter einem Prozentpunkt lagen, und eine gute Plausibilität bei den meisten Simulationsergebnissen und Echt-Prognosen erreicht. Angesichts der sicherlich notwendigen, aber für den Prognostiker problematischen, zum Teil berächtlichen nachträglichen Änderungen in den Daten und angesichts der zugrunde liegenden Methodik eines regressionsgestützten Modells kann grundsätzlich nicht angenommen werden, daß mit der Stabilisierung der Strukturen eines empirisch ständig justierten Modells irgendeine Art von Sicherheit bei den Prognosen erreicht werden könnte. Aus diesem Grund wird auch keinerlei Garantie gegeben. Hinzu kommt, daß die Wirtschaft kein autonomes System ist, sondern durch Ereignisse und Entscheidungen aller Art von seiner "natürlichen" Entwicklung abgelenkt werden kann. Dies betrifft in der aktuellen Projektion vor allem die Staatsverschuldung, die in dem Maße geringer ausfallen wird, wie die Regierung sich zu einer sparsameren Fiskalpolitik entschließt.

Kommentar vom 26. Nov. 2023


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