Kommentar zur 6-Quartale-Voraus-Projektion

Prognose vom 28. Februar 2024

Gesamteindruck: Im Novemmber 2023 war hier zu lesen: "Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Krise. Sowohl für 2023 als auch für 2024 besteht die Gefahr eines negativen Wachstums." Diese Gefahr hat sich 2023 mit -0,3 Prozent materialisiert. Nun die gute Nachricht: Das "Tal der Tränen", durch das die deutsche Wirtschaft 2024 gehen muss, ist flacher als befürchtet. Immerhin ist eine Steigerung von 0,4 Prozent zu erwarten. Der nominelle Zuwachs des durchschnittlichen monatlichen Pro-Kopf-Einkommens von 3,1 Prozent wird durch eine Inflationsrate von 4,4 Prozent aufgefressen. Real sinkt der Konsum der privaten Haushalte um 0,8 bzw. 1,0 Prozent (2024 und 2025). Die höchsten Wachstumsraten der realen Verwendungsaggregate des BIP im laufenden Jahr 2024 weisen die Investitionen in Ausrüstungen und die Importe auf, was vermutlich mit Waffenkäufen im Ausland zusammenhängt. Die Exporte legen wieder leicht zu und ziehen die Wirtschaft mit sich. Die im November geäußerte Hoffnung, dass die Inflation 2024 unter die Zwei-Prozent-Marke fallen könnte, wird sich - nach der vorliegenden Projektion - nicht erfüllen. Verstärkt wurde die Rezession 2023 durch die Zurückhaltung des Staates bei den konsumtiven Ausgaben, die prognostisch 2024 überwunden wird, was aber zu Lasten der Neuverschuldung des Staates geht.

Von der epidemiologischen Krise, der zögerlich bekämpften Inflation und den Sanktionen gegen Russland sind klarerweise die Staatsfinanzen betroffen. Die Defizitquote des Staates ist 2023 auf 2,1 Prozent des BIP gestiegen (2.4 wurden vorhergesagt). Nach der Projektion für 2024 bestehen keine Zweifel mehr, dass die sog. Schuldenbremse eingehalten werden kann.

Die Arbeitslosenzahlen sind bei langsam steigender Beschäftigung rückläufig. Die zu erwartende Unterbeschäftigung kann man dem Verlauf der Phillipskurve entnehmen.

Die Rahmenbedingungen: Das Modell unterstellt im Prognosezeitraum einen fast konstanten Dollarwert des Euro bei 1,10 US-$. Der langfristige Zinssatz liegt bei 2,0 Prozent mit fallender Tendenz, und der Kurzfristzinssatz sinkt in den nächsten zwei Jahren von 4 auf 3,5 Prozent. Die Geldmenge M1 wächst nach einer kurzen Periode der Schrumpfung etwa genauso schnell wie vor der Pandemie, allerdings von einem abgesenkten Niveau ausgehend. Der Ölpreis steigt wieder leicht vom 80er Bereich in Richtung eines Preises von 90 US-$. Der Projektion entsprechend wird der DAX vorerst keinen größeren schockartigen Einbruch erleiden, aber auch keinen Sprung nach oben machen.

Die Unsicherheit von Prognosen bei einer immer noch präsenten, aber kollektiv nicht mehr wahrgenommenen Pandemie, einer aus den Ankern gerissenen Inflation und unter den Bedingungen eines heißen Krieges in Europa und im Nahen Osten ist kaum abzuschätzen.

Unsicherheit durch die Datenlage und durch Datenrevision: Die Daten wurden von StBA bis zum 1. Quartal 2023 zurückgehend revidiert. Das erforderte mehrere Eingriffe in das zugrunde liegende Gleichungssystem, insbesondere in die Gleichungen für alle Hauptkomponenten des BIP. Die demographischen Daten stellen nach wie vor einen weiteren Unsicherheitsfaktor dar, werden aber voraussichtlich durch die ungebremste Zuwanderung weiter kräftig steigen.

Kritik der November-Prognose: Insgesamt war die letzte Prognose vom November zu pssimistisch. Mit der im Februar erfolgten umfassenden Überprüfung des Gleichungssystems ist ein realistischeres Bild des Verlaufs der Wirtschaftsentwicklung erreicht worden. Die Ursache für die bislang schon mehrmals festgestellte Neigung des Modells zu extremen Prognosen ist aufgedeckt worden: Sie besteht vor allem in der Volatilität der Preisgleichung für den Konsum der privaten Haushalte, für die es bekanntlich kaum Theorien gibt, auf die man sich stützen könnte. Dieser Preisindex ist in vielen Gleichungen der Realaggregate entweder direkt oder indirekt enthalten und beeinflusst sie deshalb maßgeblich. Eine Lösung des Problems wird noch gesucht.

Eine exakte Angabe der Prognosefehler, die für das gerade abgelaufene Quartal aufgrund der inzwischen vorliegenden Daten ermittelt werden können, findet man wie gewöhnlich unter Vierteljährige Prognosefehler.

Ein umfaßenders Bild der auf Jahreszahlen bezogenen Prognosegenauigkeit des EMGE liefert die Tabelle bisherige Prognosen.

Anläße für Skepsis gegenüber der Prognose? Nach einer aktiven Zeit von ca. 17 Jahren (die erste Prognose wurde am 2.3.2007 veröffentlicht) hat das EMGE bei den Hauptaggregaten eine hohe Genauigkeit der Ex-post-Prognosen, die in ruhigeren Zeiten zum Teil deutlich und dauerhaft unter einem Prozentpunkt lagen, und eine gute Plausibilität bei den meisten Simulationsergebnissen und Echt-Prognosen erreicht. Angesichts der sicherlich notwendigen, aber für den Prognostiker problematischen, zum Teil berächtlichen nachträglichen Änderungen in den Daten und angesichts der zugrunde liegenden Methodik eines regressionsgestützten Modells kann grundsätzlich nicht angenommen werden, daß mit der Stabilisierung der Strukturen eines empirisch ständig justierten Modells irgendeine Art von Sicherheit bei den Prognosen erreicht werden könnte. Aus diesem Grund wird auch keinerlei Garantie gegeben. Hinzu kommt, daß die Wirtschaft kein autonomes System ist, sondern durch Ereignisse und Entscheidungen aller Art von seiner "natürlichen" Entwicklung abgelenkt werden kann.

Kommentar vom 28. Febr. 2024


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